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Das Homöopathische Arzneibuch – Interview mit Prof. Dr. Michael Keusgen

Prof. Dr. Michael Keusgen steht vor einem Regal in seinem Labor.Prof. Dr. Michael Keusgen in seinem Labor. Foto: privat

Prof. Dr. Michael Keusgen, promovierter Pharmazeut (Pharmazeutische Biologie), ist seit 2007 Dekan im Fachbereich Pharmazie an der Philipps-Universität Marburg. Keusgen forscht unter anderem an mittelasiatischen Arzneipflanzen und an der Entwicklung neuer analytischer Verfahren. Zudem ist er Experte für Arzneibücher: Seit 15 Jahren engagiert sich Keusgen in mehreren Ausschüssen zur Erstellung von Arzneibuchmonografien auf nationaler und europäischer Ebene. In unserem Interview beantwortet er Fragen zum Homöopathischen Arzneibuch (HAB) und zur sogenannten Harmonisierung von Arzneibüchern.

1. Was sind Arzneibücher?

Prof. Dr. Michael Keusgen: Arzneibücher sind Sammlungen von Qualitätsstandards im Arzneimittelbereich. Üblicherweise besteht ein Arzneibuch aus zwei Teilen: einer Sammlung von allgemeinen Methoden sowie speziellen Stoffmonografien. In letzteren werden die Qualitätsstandards für pharmazeutisch genutzte Stoffe festgelegt. Zusätzlich können noch allgemeine Texte enthalten sein, was insbesondere beim Europäischen Arzneibuch der Fall ist.

2. Was ist das Homöopathische Arzneibuch (HAB)?

Prof. Dr. Michael Keusgen: Das HAB ist fester Bestandteil der Arzneibücher, wie sie nach § 55 des AMG definiert sind. Für Deutschland verbindliche Arzneibücher sind das Europäische Arzneibuch (Ph. Eur.), das Deutsche Arzneibuch (DAB), das HAB und, als Ergänzungsbuch, der Deutsche Arzneimittel-Codex (DAC).

3. Was steht im Homöopathischen Arzneibuch?

Prof. Dr. Michael Keusgen: Das HAB ist sehr ähnlich aufgebaut wie das DAB. Am Anfang stehen allgemeine Vorschriften, beispielsweise zur Lagerung. Es schließt sich ein Methodenteil mit Reagenzienbeschreibung an. Anschließend kommt im Vergleich zum DAB die Besonderheit des HAB: eine Sammlung der speziellen Herstellungsvorschriften für homöopathische Arzneimittel. Diese sind insbesondere für Arzneimittel-Hersteller wichtig. Aber auch in der Apotheke besteht die Pflicht, sich bei der Zubereitung von Homöopathika genau an diese Vorschriften zu halten.

Der größte Teil des HAB besteht aus Stoffmonografien, in denen die Qualitätsanforderungen der üblicherweise verwendeten Stoffe definiert sind. Diese sind denen der Phytopharmaka – der pflanzlichen Arzneimittel – sehr ähnlich, natürlich mit dem Unterschied, dass in der Homöopathie, wenn eben möglich, Frischpflanzen verwendet werden. Daher werden die meisten Prüfungen für pflanzliche Ausgangsstoffe aus der Urtinktur gemacht. Neben den Prüfungen auf Identität, Reinheit und Verfälschungen ist eine Gehaltsbestimmung nur vorgeschrieben, wenn das Ausgangsmaterial toxisch ist, was in der Homöopathie aber der Regelfall ist. Für chemisch-definierte Materialien gelten in der Homöopathie exakt die gleichen Qualitätsanforderungen wie in der Allopathie, also wie bei herkömmlichen Arzneimitteln.

4. Was versteht man unter der Harmonisierung von Arzneibüchern?

Prof. Dr. Michael Keusgen: Ausgangsmaterialien für den homöopathischen Gebrauch sowie homöopathische Herstellungsvorschriften werden, neben allgemeinen Vorschriften, derzeit schrittweise in das Europäische Arzneibuch (Ph. Eur.) aufgenommen (Stand: Mai 2016). Bei diesem Prozess werden insbesondere Stoffe und Herstellungsvorschriften berücksichtigt, die in Deutschland und Frankreich von Bedeutung sind. Über die Ph. Eur. findet somit eine Harmonisierung der Qualitätsstandards im Bereich der Homöopathie für Europa statt, wodurch insbesondere die Zulassung beziehungsweise Registrierung von Homöopathika im EU-Raum erleichtert wird. Dieser Prozess der Harmonisierung ist aber bei Weitem noch nicht abgeschlossen.

5. Was ist von „neuartigen“ Homöopathika, wie beispielsweise potenzierten Hormonen, zu halten?

Prof. Dr. Michael Keusgen: Die Homöopathie basiert sehr stark auf Tradition. Beispielsweise wurde in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Bestandsaufnahme gemacht, welche Ausgangsstoffe in der Homöopathie in Deutschland verwendet werden; auf dieser Bestandsaufnahme basiert das HAB. Eine Erweiterung der offiziellen Stoffliste oder Einführung einer neuen Herstellungsmethode ist nur auf Antrag an die HAB-Kommission möglich.

Das HAB und die Ph. Eur. haben aber keinen „Ausschlusscharakter“. Neuentwicklungen im Bereich der Homöopathika sind durchaus möglich, jedoch üblicherweise als Einzelrezeptur nach ärztlicher Verordnung. Ebenfalls kann ein pharmazeutischer Betrieb eine Zulassung für ein neuartiges Homöopathikum beantragen. Eine Registrierung dürfte in diesem Fall kaum zu erlangen sein, da ein neuartiges Homöopathikum außerhalb des traditionellen Kontextes steht. Wird ein „neuartiges“ Homöopathikum beispielsweise über das Internet in Verkehr gebracht, ohne dass eine Zulassung bzw. Registrierung vorliegt, so ist dieses ein Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz. Dem Verbraucher ist von derartigen Internetkäufen dringend abzuraten.