Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, ehrenamtlich homöopathisch behandeln – das ist ein Projekt des Vereins HOG – Homöopathen ohne Grenzen e.V. HOG startete es im Frühjahr 2015 in Zusammenarbeit mit der Organisation Homöopathie in Aktion (HiA). Eine Beteiligung ist für ÄrztInnen und HeilpraktikerInnen mit mindestens drei bis fünf Jahren Berufserfahrung möglich, die außerdem ein Zertifikat im Bereich Homöopathie vorweisen können.
Der Verein HOG wurde im Jahr 1997 gegründet. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, nachhaltige und effiziente Unterstützung dort zu leisten, wo medizinische Hilfe notwendig ist.
Dr. Maria Möller, Hausärztin in Augsburg mit der Zusatzbezeichnung Homöopathie, engagiert sich seit Anfang des Jahres 2015 in der Flüchtlingsarbeit. Mitte des Jahres 2017 hat sie die Projektleitung von „Homöopathie für Flüchtlinge in Deutschland“ übernommen. Im folgenden Interview beantwortet sie die wichtigsten Fragen zum Projekt.
Wie kam es zu „Homöopathie für Flüchtlinge in Deutschland“?
Dr. Maria Möller: 2014, noch vor der großen Flüchtlingswelle, wurde auf einer Mitgliederversammlung von HOG der Beschluss gefasst, ein solches Projekt ins Leben zu rufen. Regina Mössner von der Initiative HiA war sofort mit dabei. Unglaublich viele Therapeuten boten ihre Mitarbeit an. Das Motto „Helfen vor der eigenen Haustür“ kam wirklich sehr gut an.
Wie viele Personen organisieren das Projekt hauptamtlich?
Möller: Das Projekt läuft rein ehrenamtlich, Unterstützung erhalten wir durch die Geschäftsstellen von HOG und HiA. Derzeit engagieren sich ca. 280 ÄrztInnen und HeilpraktikerInnen in ganz Deutschland im Projekt.
Wie unterscheidet sich die homöopathische Behandlung, welche die Flüchtlinge im Rahmen des Projekts erhalten, von einem klassischen Arztbesuch?
Möller: Neben der Arbeit in der eigenen Praxis gehen wir direkt in die Flüchtlingseinrichtungen oder bieten Sprechstunden in Beratungsstellen an. Teils werden akute Behandlungen angeboten, bei uns in Augsburg arbeiten wir mit Terminen, dadurch sind auch längerfristige Behandlungen chronischer Erkrankungen möglich. Das Zeitverständnis der Flüchtlinge ist allerdings oft ein anderes, das Einhalten der Termine ist nicht immer so einfach.
Das Ganze ist für die Patienten kostenfrei. Auch Sozialhilfeempfänger, die nur Anspruch auf Akutbehandlungen haben, können dadurch behandelt werden. Eine weitere Besonderheit ist, dass häufig Dolmetscher dabei sind. Die Kosten für die Übersetzung übernehmen die Vereine HOG und HiA.
Müssen die Flüchtlinge die verschriebenen homöopathischen Arzneimittel selbst zahlen?
Möller: Wir verfügen über Kontakte zu Apotheken, welche die Mittel teilweise kostenlos abgeben.
Ist den Flüchtlingen die Homöopathie aus ihrer jeweiligen Heimat bekannt?
Möller: Homöopathie ist bei den Flüchtlingen nicht besonders gut bekannt, aber Naturmedizin ist insgesamt sehr weit verbreitet und beliebt.
Wie kommt diese Hilfe an?
Möller: Wir bekommen viele positive Rückmeldungen. Auch die ausführlichen Gespräche mit Dolmetschern werden gerne angenommen. Ein Stück weit ist natürlich die Einstellung der Betreuer und Helfer wichtig. Und der Therapieerfolg trägt zur Multiplikation bei. Mit einem Akutmittel kann man bei Angst und Panik oft schon sehr viel erreichen.
Welche Art von Weiterbildungen mussten die Projektbeteiligten machen, um am Projekt teilnehmen zu können?
Möller: Wir bieten regelmäßig Fortbildungsseminare zu den Themen „Trauma“ und „Interkulturelle Kompetenz“ an. Auch vor Ort gibt es Seminare verschiedener Organisationen, die von unseren Projektmitgliedern besucht werden. Als Verständnisgrundlage dient uns vor allem ein Buch von Dr. Ingrid Pfanzelt mit dem Titel „Homöopathie und Psychotraumatologie“. Frau Dr. Pfanzelt ist Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Homöopathin und seit vielen Jahren Mitglied bei HOG.
Erleben und interpretieren Menschen aus unterschiedlichen Kulturen Krankheiten auf verschiedene Weise?
Möller: Viele Flüchtlinge sehen keinen Zusammenhang zwischen ihren körperlichen Beschwerden und ihren teilweise extremen Belastungen vor, während und nach der Flucht. Gefühle zu benennen, fällt vielen schwer, und psychische Probleme werden versteckt. Bei akut Traumatisierten darf man da auch nicht zu hartnäckig nachfragen, das kann sehr negative Folgen haben. Auch der Ort der Beschwerden, die Frage „wo tut es weh?“, ist manchmal nicht so klar zu definieren – es gibt unterschiedliche Körpervorstellungen in den Kulturen. Erstaunlicherweise erleben wir eine große Offenheit im Erzählen der Beschwerden zum Beispiel bei Flüchtlingen aus Afghanistan, wo man eigentlich nicht über Befindlichkeitsstörungen spricht.
Wie geht es mit dem Projekt weiter?
Möller: 2017 habe ich die Projektleitung übernommen und arbeite seitdem im Projektleitungsteam mit weiteren TherapeutInnen eng zusammen. Wir möchten das Projekt an die aktuellen Gegebenheiten anpassen. Ein neuer Flyer, der unsere Arbeit noch bekannter machen soll, ist bereits in Arbeit; in einer Neuauflage unserer Informationsblätter in vielen verschiedenen Sprachen sollen unsere bisherigen Erfahrungen mit einfließen – zum Beispiel auch nonverbale Elemente, wobei uns eine Augsburger Professorin und Künstlerin unterstützt hat.
Es kommen momentan zwar weniger Flüchtlinge an, aber die Probleme reißen nicht ab: Abschiebungen drohen, Wohnung und Arbeit sind für Flüchtlinge schwer zu bekommen. Diese neuen Belastungen machen krank. Manche Menschen haben auch erst jetzt Zeit, über ihre Flucht und schwere Erfahrungen nachzudenken, wodurch schlimme Erinnerungen hochkommen. Daneben spielt auch das Heimweh eine große Rolle. Wir können da Hilfe anbieten.